Dushan-Wegner

15.01.2023

Zwei Schmiede

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten
»Das Leben ist die Summe schöner Momente« vs. »Der Zweck ist die Mühe wert« – welcher Typ von Mensch sind Sie? Und warum?
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Es waren einmal zwei Schmiede, und sie lebten in zwei beinahe ganz gleichen Häusern, in der gleichen Stadt und in der gleichen Straße, ein jedes Haus mit einer Schmiedewerkstatt, und diese beiden Schmiede waren Brüder, und sie hatten ihre gleichen Häuser vom selben Vater geerbt, jeweils samt Werkstatt und Beruf.

Da war aber ein nicht unwesentliches Detail, in dem sich die beiden Häuser eben doch unterschieden, und dieses Detail war der Leitspruch, den die Brüder sich jeweils hatten sticken, einrahmen und an ihre Wand anbringen lassen.

Des einen Bruders Spruch lautete: »Das Glück ist die Summe schöner Momente.«

Des anderen Bruders Spruch aber lautete: »Der Zweck rechtfertigt die Mühe.«

Der Momente-Schmied

Den Schmied, der die schönen Momente feierte, wollen wir hier den »Momente-Schmied« nennen.

Der Momente-Schmied war natürlich sehr beliebt bei seinen Mitbürgern. Man nannte ihn einen »Mensch unter Menschen«, was heute als Titel weniger bekannt ist, aber damals als hohe Auszeichnung galt.

Ob die Feier einer Geburt oder ein Totenschmaus, ob Hochzeit oder Kirchenfest, wo es Feste zu feiern gab, da fehlte der Momente-Schmied niemals nie nicht.

Er erfreute die Mitmenschen mit seiner offenen Art, mit seiner furiosen Freude am Leben. Jeder Moment und jede Begegnung schienen ihm wertvoll zu sein, und so fühlten sich die Menschen in seiner Gegenwart ebenfalls wertvoll.

Und, seien wir stets ehrlich, das Würdigen der Momente war gut fürs Geschäft! Wenn etwas an ihrem Haus zu schmieden anstand, gaben die Bürger dem Momente-Schmied gern ihren Auftrag und dann ihr Geld, er war ja einer von ihnen, also vertrauten sie ihm.

Der Mühe-Schmied

Der andere Schmied, wir wollen ihn den »Mühe-Schmied« nennen, er war weit seltener bei den öffentlichen Feierlichkeiten anzutreffen.

Sicher, die anstehenden Feste waren auch dem Mühe-Schmied bekannt.

Jedoch, zu feiern, das bereitete ihm Mühe, und sein Spruch besagte zwar, dass der Zweck die Mühe rechtfertige, doch dafür brauchte es zunächst einen Zweck! Und was für einen Zweck sollte es haben, vor viel zu lauter Lärmkulisse immer wieder dieselben Geschichten zu hören? Immer wieder dieselben Witze zu erzählen, dazu viel zu laut zu lachen, befeuert von Bier und Blasmusik.

Hätte der Mühe-Schmied schöne Momente sammeln wollen, wie der Momente-Schmied es tat, dann hätte er dies wohl eher in seiner Schmiedewerkstatt unternommen.

Und, seien wir stets ehrlich, es war ja auch ein gutes Geschäft für ihn, vom Zweck her zu denken. Wo auch immer eine besonders komplizierte Arbeit zu erledigen war, die einen Schmied erforderlich machte, wurde der Mühe-Schmied beauftragt.

Während man mit dem Momente-Schmied lieber die Momente verbrachte, mühte sich der Mühe-Schmied in seiner Werkstatt an den extra komplizierten und damit oft auch extra lukrativen Aufträgen.

Unbedingt ja!

An dieser Stelle unserer kleinen Parabel ließe sich fragen: Welcher Schmied ist glücklicher zu nennen?

Die Antwort muss natürlich lauten: Beide Schmiede sind glücklich zu nennen, ein jeder auf seine Weise.

Die beiden Schmiede waren Söhne desselben Vaters, doch nicht nur wer Kinder hat, weiß, wie unterschiedlich Kinder ausfallen können.

Soll der Mensch die schönen Momente sammeln, und das sein Glück nennen? Wenn das seinem Naturell entspricht, dann unbedingt ja!

Soll der Mensch über Tage, Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg auf ein Ziel hin arbeiten, über weite Strecken allein, unter Entsagung und Entbehrung, soll er für den Zweck seine Momente statt mit Lust und Freude täglich mit harscher Mühe füllen? Wenn das sein Naturell ist, dann unbedingt ja!

Stets Schmiede

Man muss weder Christ noch Platon-Schüler sein, um zu erkennen, dass wir Kinder eines gemeinsamen Vaters sind, sprich: dass wir Varianten derselben Idee von Menschsein leben.

Das Sprichwort sagt, dass wir ein jeder unseres Glückes Schmied sind, doch unser Werkstück, unser Glück und damit unser Lebenswerk, wird, kann und soll auch nicht all den anderen Lebenswerken gleichen.

Und so ergibt sich auch hier aus der Möglichkeit die Pflicht, den Schmiedehammer in eigener Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen!

Ob wir das Leben aus vielen Momenten schmieden wollen, ob wir lieber auf ein großes Ziel hin arbeiten, oder ob wir beides zu balancieren versuchen, wir sind stets Schmiede am eigenen Glück.

Niemand kann, soll, wird

Der Mensch sollte sich, früh und regelmäßig, mit sich selbst beraten, und so herausfinden, was für eine Art von Schmied er nun ist.

Es muss unser Glück sein, an dem wir schmieden, nicht die Glücksidee irgendeines Charismatikers.

Wir sind Nachbarn, und sei es Nachbarn im Geiste, und dazu wohl auch Kinder desselben Vaters, atmende und fühlende Exemplare derselben platonschen Menschidee, doch unser wichtigstes Werkstück ist immer das eigene, unveräußerliche Leben.

Niemand soll, niemand kann, und niemand wird es für uns tun: Wir schmieden ein jeder am eigenen Glück, ein jeder auf seine eigene Weise.

So viel für heute

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